Aktuelle Entscheidungen

Erkennbare Zugehörigkeit: Vorfahrtsrecht einer Landstraße geht auf fahrbahnbegleitenden Radweg über


Was dem einen eindeutig erscheint, stößt bei anderen auf Widerspruch. So landete auch der folgende
Fall vor dem Landgericht Frankenthal (LG). Dieses musste klarstellen, dass Verkehrsteilnehmer, die in
eine vorfahrtsberechtigte Straße einfahren möchten, dem dort passierenden Radverkehr Vorfahrt zu
gewähren haben - und zwar auch dann, wenn dieser einen dort parallel verlaufenden Radweg nutzt.
Hintergrund war ein Verkehrsunfall, der sich im Bereich einer Landstraße zugetragen hatte. Die
Fahrerin eines Pkw wollte aus einem Feldweg in die Landstraße einbiegen. Als sie dabei den parallel zur
Landstraße verlaufenden Radweg überquerte, stieß sie mit einem von links kommenden Radfahrer
zusammen. Die Frau war nun der Ansicht, der von links kommende Radfahrer hätte ihr die Vorfahrt
genommen und sei daher schuld an dem Unfall. Daher verklagte sie ihn auf Schadensersatz für die an
ihrem Fahrzeug entstandenen Schäden.
Das LG hat die Klage der Autofahrerin abgewiesen. Da der parallel zur Landstraße verlaufende und
somit "fahrbahnbegleitende" Radweg insoweit zur Landstraße gehört, nimmt dieser Radweg auch an dem
Vorfahrtsrecht der Landstraße teil. Entgegen der Ansicht der Pkw-Fahrerin ist die Zugehörigkeit des
Radwegs zu der Landstraße durchaus eindeutig anhand dessen Beschaffenheit und seinem Verlauf
erkennbar. Unerheblich ist es dabei, dass der Radweg durch eine schmale bewachsene Fläche von der
Straße getrennt sei. Auch wenn der Radweg in einiger Entfernung von der Landstraße weggeleitet würde,
rechtfertige dies keine andere Beurteilung. Es kommt nur auf die örtlichen Verhältnisse am Unfallort an.
Hinweis: Der Radweg verlief hier "fahrbahnbegleitend" zur Landstraße, so dass dessen Benutzer
daher ebenso das Vorfahrtsrecht haben wie etwaige Autofahrer auf der Landstraße.
Quelle: LG Frankenthal, Urt. v. 24.03.2023 - 2 S 94/22
zum Thema: Verkehrsrecht
 

 

Verfassungsbeschwerde erfolgreich: Mutmaßlicher Raser setzt Einsichtsrecht in gesamte Messakte durch


Welche Detailinformationen darf man einsehen, um einen gegen sich erhobenen Vorwurf entkräften
zu können? Diese Frage wollte ein Mann beantwortet haben, dem anhand von Messgerätsdaten (Blitzer)
ein Tempoverstoß vorgeworfen wurde. In zwei Instanzen wurde ihm die vollumfängliche Akteneinsicht
jedoch verwehrt. Und da es sich hierbei um Grundsätzliches handelte, landete der Fall schließlich vor dem
Verfassungsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg (VerfGH).
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Nachem ein Autofahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit um satte 44 km/h überschritten hatte
und dabei geblitzt wurde, erhielt er einen Bußgeldbescheid in Höhe von 160 EUR und den Erlass eines
einmonatigen Fahrverbots. Der Betroffene legte über seinen Anwalt Einspruch ein und forderte neben der
reinen Akteneinsicht auch die Herausgabe sämtlicher nicht in der Akte befindlicher Daten - insbesondere
die Wartungs- und Reparaturunterlagen des Messgeräts. Dies wurde ihm in den ersten beiden Instanzen
verwehrt.
Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgt für den Betroffenen grundsätzlich ein Anspruch auf
Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen
Informationen - namentlich auch zu den Wartungs- und Reparaturunterlagen des verwendeten Messgeräts.
Nur wenn alle Daten überprüft werden könnten, sei der Verteidiger in der Lage, eventuelle Zweifel an der
Richtigkeit der Messung darzulegen und zu beweisen. Dem Bürger müsse also eine vollumfängliche
Akteneinsicht gewährt werden. Die Sache wurde vom VerfGH daher an das Amtsgericht
zurückverwiesen.
Hinweis: Die vom Rechtsanwalt angeforderten Unterlagen sind verteidigungsrelevant, weil sie
Schlüsse auf die Zuverlässigkeit des Messgeräts und damit die Richtigkeit des Messergebnisses erlauben.
Im vorliegenden Fall war auch davon auszugehen, dass die Unterlagen tatsächlich existierten, da der als
Zeuge vernommene Messbeamte und der Sachverständige von reparierten Defekten am Objektiv und
LAN-Kabel berichtet hatten. Durch die Aussage des Messbeamten oder des Sachverständigen kann aber
nicht das originäre Einsichtsrecht der Verteidigung in die Unterlagen eingeschränkt werden, welche die
Angaben andernfalls nicht verifizieren könne.
Quelle: VerfGH des Landes Baden-Württemberg, Urt. v. 16.01.2023 - 1 VB 38/18
Fundstelle: www.landesrecht-bw.de
zum Thema: Verkehrsrecht


Alleinhaftung des Wartepflichtigen: Mitverschulden des Unfallgegners kann bei Rotlichtverstoß völlig zurücktreten


Vor dem Oberlandesgericht Saarbrücken (OLG) vertrat ein Fahrzeugführer die Meinung, dass er mit
seinem Rotlichtverstoß nicht Schuld am daraufhin entstandenen Unfall tragen würde. Doch statt sich in
seiner Annahme bestätigt zu fühlen, musste er eine Lehrstunde zum korrekten Verhalten vor, an und nach
Behelfsampeln über sich ergehen lassen.
Der spätere Kläger befuhr mit seinem Pkw eine zweispurige Straße, bei der die rechte Fahrbahn
baustellenbedingt gesperrt war, so dass eine Behelfsampel eingerichtet wurde. Diese überfuhr der Kläger
bei Rotlicht. In der Folge kam es zu einer Kollision mit dem Pkw der Beklagten, die bei für sie
angezeigtem Grünlicht aus der Ausfahrt eines Parkhauses auf die Straße einfuhr. Der Kläger verlangte
Schadensersatz für die Beschädigung seines Pkw von der Beklagten.
Das OLG entschied jedoch, dass der Kläger den Verkehrsunfall allein verschuldet habe. Die
Auffassung des Klägers, dass sein Rotlichtverstoß nicht kausal für den Unfall geworden sei, da die Ampel
an der Parkhausausfahrt als weiter entfernt liegende Einmündung nicht mehr dem unmittelbaren
Schutzbereich des für ihn durch die Behelfsampel geregelten Rotlichts unterfällt, konnte den Senat nicht
überzeugen. Zwar regelt jede Lichtzeichenanlage nur die Kreuzung oder Einmündung, an der sie
angebracht ist. Die Entscheidung über den rotlichtgeschützten Bereich ist aber stets einzelfallabhängig
anhand der jeweiligen örtlichen Gegebenheiten zu treffen. Denn die Behelfsampel ersetzte während der
Bauarbeiten die ansonsten an der Unfallstelle vorhandene Lichtzeichenanlage und erfüllte deren Funktion.
Ein Mitverschulden der Beklagten tritt nach Auffassung des Senats vollständig hinter das schwere
Verschulden des Klägers zurück. Zudem war zu berücksichtigen, dass der Kläger auf das einfahrende
Beklagtenfahrzeug überhaupt nicht reagiert habe, obwohl sich der Einfahrvorgang der Beklagten in
seinem frontalen Gesichtsfeld abspielte.
Hinweis: Die Verkehrsregelung durch eine Lichtzeichenanlage ist derart bedeutsam, dass nicht nur
die Betriebsgefahr, sondern im Einzelfall sogar ein geringfügiges Verschulden des bei Grünlicht in den
geschützten Bereich Einfahrenden hinter den Rotlichtverstoß zurücktritt. Bereits das Nichtbeachten des
Rotlichts einer Lichtzeichenanlage ist wegen der damit verbundenen erheblichen Gefahren in aller Regel
als objektiv grob fahrlässig anzusehen.
Quelle: Saarländisches OLG, Urt. v. 21.04.2023 - 3 U 11/23
Fundstelle: https://recht.saarland.de
zum Thema: Verkehrsrecht
 

Verkehrssicherungspflicht bei Straßenbäumen: Erscheinungsbild der Baumkrone gibt ausreichend Hinweise auf notwendige Zusatzkontrollen


Straßenbäume haben es nicht leicht - besonders hinsichtlich der klimatischen Verhältnisse müssen sie
oft mehr aushalten, als sie können. Wenn einer von ihnen Ballast abwirft, kommt es naturgemäß meist zu
Schäden. In diesem Fall litt glücklicherweise nur geparktes Blech. Dennoch musste das Oberlandesgericht
Frankfurt am Main (OLG) klären, ob dessen Halterin Anspruch auf Schadensersatz hat.
Die Klägerin hatte ihr Auto im August 2019 in einem Wohngebiet geparkt. Von einer Robinie auf
dem Bürgersteig brach nachts ein großer Ast ab und stürzte auf das Fahrzeug - Totalschaden. Die beklagte
Stadt hatte den Baum letztmals ein Jahr zuvor, also im August 2018, kontrolliert.
Das OLG hat der Klage nun stattgegeben, die Berufung der Stadt hatte keinen Erfolg. Die Klägerin
kann nach der Entscheidung Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht verlangen.
Da die Stadt hier trotz sichtbarer Vitalitätsbeeinträchtigungen einer auf dem Bürgersteig stehenden
Robinie keine gesonderte Untersuchung der Baumkrone vorgenommen hatte, haftet sie.
Grundsätzlich sei es ausreichend, bei einem stärker geschädigten Baum, der sich in der Reife- oder
Altersphase befindet und an einem Standort mit berechtigterweise höheren Sicherheitserwartung aufgrund
des Verkehrs steht, ein Kontrollintervall von einem Jahr festzulegen. Das gilt zumindest, soweit die
Schädigungen so geartet sind, dass sie sich voraussichtlich nicht innerhalb eines Jahres auf die
Verkehrssicherheit auswirken. Nach Angaben des vom Gericht bestellten Sachverständigen hatte die Stadt
nicht ausreichend berücksichtigt, dass das äußere Erscheinungsbild der Baumkrone mit einer gesunden
und vitalen Robinie nicht annähernd vergleichbar war. Zudem hätte an dem Baum auffällig viel Totholz
beseitigt werden müssen. Schließlich waren auch wegen der Trockenheit 2018 zusätzliche Kontrollen des
bereits beeinträchtigten Baums erforderlich gewesen. Diese besonderen Umstände waren Anlass, in
kürzerem Abstand und unter Benutzung eines Hubsteigers oder Einsatz eines Baumkletterers den
Kronenbereich gesondert zu kontrollieren.

Hinweis: Grundsätzlich genüge eine Gemeinde ihrer Verkehrssicherungspflicht, wenn sie
Straßenbäume regelmäßig auf trockenes Laub, dürre Äste, Beschädigungen oder Frostrisse beobachtet und
eine eingehende Untersuchung dort vornimmt, wo besondere Umstände wie das Alter des Baums, sein
Erhaltungszustand, die Eigenart seiner Stellung oder sein statischer Aufbau sie dem Einsichtigen angezeigt
erscheinen lassen. Ob dies konkret eine zweimalige jährliche Kontrolle in belaubtem und unbelaubten
Zustand erfordert oder aber eine einmalige jährliche Kontrolle ausreicht, wird in der obergerichtlichen
Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 11.05.2023 - 1 U 310/20
Fundstelle: www.ordentliche-gerichtsbarkeit.hessen.de
zum Thema: Verkehrsrecht

 

 

Fahrtenbuchauflage für Gesamtfuhrpark: Wer erst nach Androhung empfindlicher Konsequenzen mitwirkt, darf nicht auf Milde hoffen


Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (OVG) in Saarlouis musste sich im Folgenden mit einer
Halterin verschiedener Firmenfahrzeuge auseinandersetzen, die sich mit den Folgen ihrer Renitenz bei der
Mitwirkung von Anhörungsverfahren befassen musste. Ob allein ihre Nachgiebigkeit bei der Verfolgung
der letzten Ordnungswidrigkeit das Verhängen einer Fahrtenbuchauflage bezüglich aller auf sie
zugelassenen Fahrzeuge verhindern kann, lesen Sie hier.
Mit verschiedenen Fahrzeugen eines Betriebs wurden im Laufe von vier Jahren acht erhebliche
Ordnungswidrigkeiten begangen, die bei Ermittlung des verantwortlichen Fahrers zu einer
Punkteeintragung in Flensburg geführt haben. Die Fahrzeughalterin wurde im Rahmen der Anhörungen
jeweils aufgefordert, die Namen der Fahrer zu benennen, wirkte jedoch nicht mit. Lediglich in einem Fall -
kurz vor Verhängung der Fahrtenbuchauflage - wurde ein Fahrer benannt. Dennoch verhängte die Behörde
gegen die Fahrzeughalterin eine Fahrtenbuchauflage, die sich auf alle auf sie zugelassenen Fahrzeuge
bezog. Dagegen legte die Betroffene Beschwerde ein. Es sei schließlich erkennbar gewesen, dass sie ihre
Einstellung, im Anhörungsverfahren mitzuwirken, geändert habe. Die Vorfälle lägen teilweise mehrere
Jahre zurück. Daher sei die Anordnung unverhältnismäßig.
Das OVG wies die Beschwerde der Frau jedoch zurück. Es konnte festgestellt werden, dass die
Halterin jahrelang jegliche Mitwirkung verweigert habe. Deshalb konnten mindestens acht
Ordnungswidrigkeiten nicht verfolgt werden. Lediglich die Tatsache, dass im letzten Fall 2022 der Fahrer
benannt wurde, spreche nicht dafür, dass ein verlässlicher Einstellungswandel zu verzeichnen sei.
Vielmehr war die Nennung eher unter dem Eindruck der drohenden Fahrtenbuchauflage erfolgt. Daher sei
es auch notwendig gewesen, die Anordnung sofort zu vollziehen. Die Dauer von sechs Monaten wurde
vom OVG dabei auch als verhältnismäßig angesehen.
Hinweis: Die Verwaltungsbehörde kann nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 31a Abs. 1 Satz 1
Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung die Führung eines Fahrtenbuchs auch für mehrere Fahrzeuge eines
Halters anordnen. In der Rechtsprechung anerkannt ist, dass bei mehreren unaufgeklärt gebliebenen
Verkehrsverstößen mit verschiedenen auf einen Halter zugelassenen Firmenfahrzeugen die Anordnung
einer Fahrtenbuchauflage bezogen auf den gesamten Fahrzeugpark gerechtfertigt sein kann.
Unverhältnismäßig ist die Fahrtenbuchauflage nur, wenn sie auf alle Fahrzeuge des Halters gestützt wird.
Dann muss die Behörde eine Prognose darüber anstellen, ob über das Fahrzeug, mit dem die der
Fahrtenbuchauflage zugrundeliegende Verkehrszuwiderhandlung begangen wurde, hinaus
Verkehrsverstöße mit anderen Fahrzeugen des Halters ebenfalls nicht aufgeklärt werden können.
Quelle: OVG des Saarlandes, Beschl. v. 19.04.2023 - 1 B 25/23
Fundstelle: https://recht.saarland.de
zum Thema: Verkehrsrecht
 

 


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